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Probemitgliedschaft
HILDEGARD VON BINGE DRINKING (Synthie-Kraut)
LAFOTE (Postpunk)
CLAUDIANOBILI (Electropop)
MADEMOISELLE X & OPERATOR 1 (Performance-Show-Band)
Auführlich:
Häresie ist eine Strategie. Also zumindest für Hildegard von Binge
Drinking. Über 150 Konzerte hat das Nonnen-Duo aus Würzburg seit 2013
gespielt, darunter Shows in Eisenbahnwaggons, auf einem Schiff, auf
Festivals von der Fusion über einen Christopher Street Day bis zur
Ruhrtriennale - und natürlich in Clubs all over Deutschland. Nach einem -
inzwischen ausverkauften - Album und zwei EPs kommt nun die neue Platte
auf dem Frankfurter Label Ichi Ichi: "Infinity". Keine gewöhnliche LP,
sondern eine, bei der alle acht Songs in Endlosrillen enden. Eher eine
IP - infinite play.
Entstanden ist das alles im April 2017: Das Duo hatte sich, ausgestattet
mit einem Stipendium des Frankfurt LAB, für einen Monat im
Gallusviertel in einen Proberaum eingeschlossen, um bei Null anzufangen
und acht endlose Titel zu schreiben, zu proben und aufzunehmen. Um eine
vier Wochen lange Geschichte mit geplatztem Gymnastikball, genervtem
Kindergärtner und gepflegtem Zeitdruck auf vier Worte zu kürzen: Es hat
hervorragend geklappt.
Das Ergebnis ist, dank der Endlosrillen, natürlich eine Gimmick-Platte -
aber eben eine gut hörbare Gimmick-Platte. Abseitiger Pop, Leftfield
Electronics, Zombiprog - man kann es nennen wie man will, die
Hildegard-Ingredienzen sind jedenfalls alle da: Vocoder, (elektronische)
Chöre, Synthesizer, ein bisschen Krautrock - und das treibende
Schlagzeug, das alles zusammenhält. Live noch immer eine Offenbarung.
Aufgenommen von Lolo Blümler (Diavolo Rosso, Acheborn et al.), gestaltet
von Samantha Muljat (Earth, Goatsnake et al.). Nicht nur
außergewöhnlich, sondern auch außergewöhnlich schön. Für die Kenner:
Inside-Out-Cover, bedruckte Innenhülle, orange Vinyl mit schwarzen
Schlieren. Looking good. Also genug Geld zu den Konzerten mitbringen,
Danke.
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Man kennt sie als Vorband von Trümmer auf deren 2014er Tour zum ersten
Album, vom ersten "Keine Bewegung“ Sampler (Staatsakt/Euphorie) oder der
Die Sterne -Tribute-Compilation „Mach’s Besser“. Oder man kennt Jakob
Groothoff als den Chef der Hanseplatte und Stefan Kühl als Bassisten von
Findus.
Am 16.11. veröffentlichen sie endlich ihr Debütalbum „FIN“. Es handelt
von genau jenen Dingen, die uns alle angehen, die jeden Tag nerven, die
überfordern, die nicht selten verschlingen und bisweilen auslöschen; es
trifft exakt das plagende Gefühl des Immer-schneller-Werdens und
Verlorenseins der Jetztzeit und fasst seine Facetten in elf Songs. Jakob
Groothoff wühlt sich dabei in seinen Textzeilen durch den ganzen
Alltagswahn, durch die ganze Scheiße, und macht klar, dass es sich hier
um seine eigenen Erfahrungen handelt, wenn er die ersten Zeilen des
Openers „Alles Liegt In Scherben“ formuliert: „Ich habe keine Kraft mehr
/ und ich habe auch keine Zeit / und es hat keinen Ort, den ich mir
leisten kann“. Ebenso wie JOCHEN DISTELMEYER erweist sich Groothoff als
eindringlicher Beobachter seiner Umgebung. Doch Groothoff inszeniert
sich nicht als intellektueller Beau, sondern gibt seine Gedanken mit
einer kraftvollen, direkten Poesie wieder. „Ich habe einen Knoten in
meinem Kopf und ich weiß nicht, was ich tun soll“, so die Formel der
Selbstaufgabe, die er in „Knoten“ zehn, zwanzig, dreißig Mal besingt.
Über LAFOTE zu sagen, sie würden nach Hamburg klingen, wäre deshalb eine
allzu schlichte Vereinfachung, würde der Band nicht gerecht werden.
Natürlich kann man BLUMFELD oder die STERNE hier an vielen Ecken
erkennen, wenn man möchte, das leugnet auch niemand. Dennoch kreieren
LAFOTE eine neue Wut, die weit brachialer und erschütternder daherkommt.
http://www.hildegardvonbingedrinking.org/